Unter der Überschrift „Singen“ schreibt L.J. am 7. Juli 2010 auf Seite 33 in der FAZ:

„Beim Türken in unserem Dorf kaufe ich ein Huhn. Vor mir wird eine Frau bedient, die ganz dem Klischee entspricht: Kopftuch, Brille von ausgesuchter Uneleganz, dicker grauer Mantel (bei 28 Grad plus). Kein Blickfang also. Dann aber unterhält sie sich mit dem Verkäufer, und man hört eine Stimme von geradezu bedrückender Schönheit. Singend nämlich, nicht piepsend, schrill oder sonstwie entstellt, und sie hat überhaupt nichts von dem aggressiven Slang der Türken-Karikaturen in den Comedy-Shows, nichts von „krass“ und „konkret – guckst du“, diese Stimme ist reine ansprechende Musik. Ich nehme an, dass man so nur sprechen kann, wenn man ein innerlich freier Mensch ist. Warum gibt es unter den jungen Frauen in Deutschland immer weniger? Warum erlischt die Wärme in ihnen, ja fast der freie Atem, warum werden ihre Stimmen immer blecherner und gequetschter, und warum reden selbst Frauen aus Hof oder Regensburg oder Bayreuth so, als kämen sie aus Hannover? Sie sprechen ja fehlerfrei und deutlich artikuliert. Aber etwas fehlt.

Es scheint doch eine Frage der Generation zu sein. Ruth Fühner im Hessischen Rundfunk spricht noch in der älteren, angenehmen und melodiösen Weise und jeden Morgen warte ich auf ihre Moderationen. Aber bei ihren jüngeren Kolleginnen in den Rundfunkanstalten verliert sich diese Fähigkeit. Die singende Stimme zeugt von einer inneren Gelöstheit und Entspannung, die gequetschte deutet auf Stress. Aber genau der Stress wird von diesen jungen Frauen wie eine Siegesfahne als stimmliches Erfolgsabzeichen vorangetragen. Sie wollen zeigen, wie schwer ihnen der Weg nach oben geworden ist. Das Bild der Frau ändert sich mit den neuen Karrierechancen – das ist banal. Aber es ändert sich auch ihr Klang. Die Musik ist bald verflogen.“

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